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Gerade für Sie gelesen

  • Katja aus unserer Tyrolia-Filiale in Innsbruck empfiehlt:

    Katja ist Buchhändlerin in unserer Tyrolia-Filiale in der Maria-Theresien-Straße in Innsbruck und leidenschaftliche Leserin.

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  • Der eindringliche Titel des neuen Romans der herausragenden Schriftstellerin Mely Kiyak hält, was er verspricht: Es geht um den Beginn des „schönen Teil des Lebens“ – doch welcher Teil ist dies? Ist es die biographische Etappe, in der wir beruflich und privat alles erreicht haben, was wir erstrebten? Oder ist es nicht vielmehr – wie hier suggeriert – jener dringlichste Lebensabschnitt, in dem wir unsere Liebsten besonders nahe bei uns spüren dürfen, wenn wir also fühlen, dass wir nicht alleine sind, dass unsere Leben mit Erzählungen erfüllt bleiben werden, nicht nur für uns selbst, sondern auch in Form von Erinnerung in den Gedanken anderer? Der schönste Teil ist der wichtigste, weil er einen Rückblick auf Vergangenes erlaubt, aber auch Hoffnung auf Weiterleben beinhaltet… Diese wunderbare Symphonie komponiert die Autorin Mely Kiyak, wenn sie vom Überlebenskampf ihres krebskranken Vaters erzählt, ohne je weinerlich oder klischeehaft zu werden. Mit großer Authentizität berichtet sie von den schwierigen Krankenhausaufenthalten und verwebt diese Episoden mit Geschichten aus der kurdischen Heimat ihres Vaters, der vor Jahrzehnten als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen war, um Kupferkabel mit giftigem Lack zu überziehen – wohl auch die Ursache seiner späteren Lungenkrebs-Erkrankung, sozusagen als „Gastarbeiter-Geschenk“ – ein Ausdruck, mit dem die Autorin sachte gesellschaftspolitische Kritik übt. Doch anstatt in Anklage und Schwermut zu versinken, erzählt Herr Kiyak, der sich eigentlich auf einen gemütlichen Lebensabend mit seiner Liebsten in der Türkei, wohin er zurückkehren wollte, gefreut hatte, der Tochter am Krankenbett in einem deutschen Provinzkrankenhaus Geschichten aus der eigenen Kindheit, die gut das Milieu und den Kontrast zur harten deutschen Realität ausdrücken, denn diese Berichte aus einer anderen Welt machen die Diagnosen und scheinbar sinnlosen Therapien zur Bekämpfung des weit fortgeschrittenen Krebses erträglich.

    Der Krankenhauspsychologe schafft es, der Tochter Mely zu vermitteln, dass sie den Vater loslassen und seinen eigenen Weg gehen lassen muss; zwar ist die „fürsorgliche Belagerung“ der Familie rund um den Kranken rührend, aber der ganz eigene Prozess der Annäherung an das Sterben darf nicht gestört werden. Dies bedeutet zwar Ohnmacht für die Angehörigen, aber auch Zuversicht, dass die Liebe die Angst überwinden kann, wie es Jan Skácel einmal in den Versen ausgedrückt hat:

    „alles schmerzt sich einmal durch /

    bis auf den eignen grund /

    und die angst vergeht /

    schön die scheune /

    die nach längst vergangnen ernten /

    leer am wegrand steht.“

    Dieses Buch spendet unglaublichen Trost, weil es nicht um den Tod, sondern um das Leben geht, selbst wenn die Krankheitserfahrung isolierend ist – zunächst natürlich für die Betroffenen selbst, dann aber auch für das gesamte familiäre Umfeld. Doch inmitten dieser schmerzhaften Erfahrung von Hilflosigkeit und Isolation, welche allem eine andere Dimension zu verleihen scheint, ist der Roman auch ein eindrückliches Zeugnis für die Macht des Erzählens. Und am Ende bleibt die Erkenntnis, wie Mely Kiyak es ausdrückt: „Man ist so einfältig in seiner Liebe“, aber auch: welch wunderbares Geschenk ist das Leben!