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Gerade für Sie gelesen

  • Maxie aus unserer Tyrolia-Filiale in Innsbruck empfiehlt:

    Maxie ist Buchhändlerin in unserer Tyrolia-Filiale in der Maria-Theresien-Straße in Innsbruck. Ihre Spezialität sind Kochbücher - aber in ihrer Freizeit verschlingt sie alle möglichen Bücher, von Romanen bis zu den spannendsten Thrillern.

  • Ein sicheres Zuhause von Louise Penny

    Man muss es sich so vorstellen:
    Ich komme zur Arbeit und weiß, der neueste Fall für Chief Inspector Gamache ist erschienen. Ich sitze praktisch wie auf glühenden Kohlen, bis ich abends zusammen mit dem Buch nach Hause gehen kann. Dort setze/lege ich mich in einen Sessel, aufs Sofa, ins Bett und lese. Unterbrochen von einer kurzen Pause zum Abendessen mit der Familie. Ich lese weiter, unterbrochen von einer kurzen Schlafpause von 23:00 Uhr bis kurz nach Mitternacht, danach weiter bis 3:30 Uhr. Das Aufstehen ist schwierig, wie der ganze nächste Tag generell. Aber nicht etwa, weil ich so müde bin, sondern hauptsächlich deswegen, weil ich es kaum erwarten kann, endlich weiterzulesen…

    Die Krimis rund um Armand Gamache sind ja immer spannend, aber Band 18 – „Ein sicheres Zuhause“ – hat es ganz besonders in sich. Zum einen erfahren wir in allerlei Rückblenden, unter welchen Umständen und bei welch fürchterlichem Verbrechen sich Gamache und Jean-Guy Beauvoir eigentlich kennengelernt haben und zum Team wurden; zum anderen lernen wir die Dämonen der Vergangenheit kennen, die Gamache das Leben schwer machen.
    Es gab bisher nur einen einzigen Menschen, der Gamache wirklich Angst gemacht – ein Serienmörder, der sein Vorbild in Jurek Walter, dem Schreckgespenst aus den Lars-Kepler-Krimis, haben könnte.
    Ausgerechnet in Three Pines, diesem geschützten Ort, der vor Verletzungen und Schmerzen schützt, diesem Dorf, in dem man heilen kann und Freundschaft und Beistand findet, ausgerechnet hier ist nun ein junger Mann aufgetaucht, der in Gamache eine ähnlich starke Angst auslöst.
    Wird ihn wieder einmal seine feste Überzeugung, dass das Gute mindestens so mächtig ist wie das Böse, vor neuem Unheil schützen?

    Die schlechte Nachricht zum Schluss: Wir Louise-Penny-Fans haben jetzt den Punkt erreicht, an dem Gleichstand herrscht, d.h. alle bisher von ihr veröffentlichten Bände der Gamache-Reihe sind nun vom Kampa-Verlag auf Deutsch veröffentlicht.
    Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass Louise Penny möglichst flott weiterschreibt, denn ganz ehrlich: Die Geschichte von Armand Gamache und Beauvoir sowie allen anderen liebgewonnenen Bewohnern von Three Pines ist doch noch lange nicht auserzählt!

  • Ziemlich zappenduster von Oliver Uschmann; Sylvia Witt

    „Die Leute aus der Wohnung gegenüber sind vor ein paar Tagen weggefahren. Sie haben große Koffer auf Rollen zu einem Taxi geschoben.“

    Lisas Familie ist geblieben, obwohl in Berlin – wie im ganzen Land – schon seit einigen Wochen chaotische Zustände herrschen.
    Die Meldungen in den Zeitungen lauten zum Beispiel: „Stuttgart in Schutt und Asche“ oder „Bald alles aus? Das müssen Sie wissen!“
    Was genau in Deutschland (und anderswo?) vor sich geht, bleibt vage, aber gerade das erzeugt eine unheilvolle Spannung…

    Es ist ein simpler Einkauf des Vaters, der in Lisas Familie zum Streit führt: Zwei Flaschen Wasser, eine kleine Packung Toast, ein Stück Käse und keine Ersatzbirnen, denn „das ist LED, das hält tausend Jahre!“
    Was soll eine vierköpfige Familie mit diesem Witz von einem Einkauf anfangen?
    Das Motto des Vaters: „Immer diese Panik! Was soll schon kommen? Am Ende geht immer alles gut!“
    Die Reaktion der Mutter: „Du lebst in den Tag hinein wie ein Kind. Ich habe ein Kind geheiratet!“

    Und dann passiert es wirklich: Plötzlich ist der Strom weg, in ganz Deutschland ist es zappenduster. Aus Stunden werden Tage…
    Was macht man, wenn nach dem Licht auch bald die Klospülung versagt und die mobilen Daten flöten gehen?
    Soll man jetzt Tomaten und Gurken in den seit Ewigkeiten ungenutzten Hochbeeten auf dem Dach anbauen? Oder so wie die Nachbarn auch aus der Stadt abhauen? Geht nicht, denn der sorglose, weltfremde Papa hat auch das Tanken vergessen.
    Während die Mutter Sorge hat, die Kunden ihrer „Seelenhand“-Praxis zu verlieren, und die Kinder fürchten, des Nachts zu erfrieren, treibt den Vater die Angst vor „der neuen Weltmacht China“ um. Dass Lisa ausgerechnet in Xin, den Sohn der chinesischen Nachbarsfamilie, verknallt ist, macht die Lage für den Papa auch nicht gerade besser.
    Doch dann ist es ausgerechnet Xins Vater, der in einer brenzligen Situation – als Plünderer in die leerstehende Wohnung eindringen – einen kühlen Kopf behält.
    Und als dann klar wird, dass Familie Shi eine andere Vorratshaltung betreibt und deutlich besser auf einen Blackout vorbereitet ist, beschließen Lisa, ihr Bruder Niklas und die Mutter, „nach China zu gehen“.
    Aber was wird der störrische Vater tun?

    „Ziemlich zappenduster“ ist ein witziges und spannendes Kinderbuch, das gekonnt die Szenarien eines länger dauernden Stromausfalls durchdenkt und die so oft irrationale Angst vor dem „Fremden“ aufzeigt.
    Hübsch fand ich die gezeichnete Skyline von Berlin am unteren Rand der Seiten und den Akku zu Beginn eines jeden Kapitels, dessen Anzeige im Laufe der Geschichte immer schwächer wird.
    Aufgrund seines geringen Umfangs (ca. 100 Seiten) ist das Buch auch gut für jüngere Selberleser oder zum Vorlesen geeignet.

  • TowerBrix von Simon Thomas

    Die Rechnung ist ganz einfach:
    Acht einfache Bausteine + sechs erwachsene Spieler = stundenlanger Spielspaß
    Kaum zu glauben, aber wahr!

    Die Tyrolia-Spielerunde hat sich wieder einmal getroffen, um ein neues Spiel zu testen. Dieses Mal stand „TowerBrix“ aus dem Kosmos-Verlag auf dem Programm bzw. auf dem Tisch. Die Spielregeln waren – auch dank der exquisiten Vorbereitung durch Verena – in Nullkommanichts erklärt und wir konnten loslegen.
    Los-Legen im wahrsten Sinne des Wortes, aber auch stellen und stapeln, denn Ziel ist es, aus den acht Holzklötzchen in den Farben blau, rot, gelb und violett einen möglichst hohen Turm zu bauen.
    Was zwar einfach klingt, aber nicht unbedingt ist. Denn jeder Spieler erhält eine Karte, die eine Baubedingung vorgibt und die er vor den Mitspielern geheim zu halten hat. So hatten wir zum Beispiel in der ersten Runde Karten wie „Die roten und die gelben Steine dürfen sich nicht berühren“ oder „Ein violetter Stein muss waagrecht liegen“. Erst wenn die Bedingungen von allen Mitspielern erfüllt sind, gilt die Runde als gewonnen.
    Ein richtiger Turm ist es allerdings nicht jedes Mal geworden; mindestens einmal haben wir nur einen bungalowartigen Flachbau geschafft. Schuld sind natürlich allein die Karten!
    Nach einigen Runden auf dem leichtesten Level, die wir ohne größeren Probleme und schnell geschafft hatten, wurden wir übermütig und haben uns an der nächsten Schwierigkeitsstufe versucht – um nach gefühlt fünfzig Bau- und Stapelversuchen festzustellen: Es geht nicht! Immer wenn vier von uns mit dem Turm zufrieden waren, gab es zwei andere, die – anfangs leicht hämisch, später dann eher resigniert – sagten: „Passt bei mir aber nicht!“
    Hier wartet also beim nächsten Treffen noch eine echte Herausforderung auf uns, denn es gibt weitere Schwierigkeitsstufen und auch Spezialaufträge.

    Wer auf der Suche nach einem kooperativen Spiel für alle ist, bei dem auch schon Kinder ab acht oder neun Jahren gut mitspielen können, der dürfte seine Freude haben an diesem simplen und dabei doch sehr raffinierten Spiel, das auch durch die Haptik und die hübschen Knallfarben besticht.

  • Vierzehn Tage von Margaret Atwood; Douglas Preston

    „Vierzehn Tage“ ist ein Roman, ein Projekt, der bzw. das einzigartig ist.

    Verfasst wurde er von sechsunddreißig amerikanischen und kanadischen Autorinnen und Autoren aller Gattungen und Genres. Darunter befinden sich z.B. die von mir sehr geschätzten Autorinnen Margaret Atwood (sie und der Thriller-Autor Douglas Preston, der für die Rahmenhandlung des Romans verantwortlich ist, fungieren auch als Herausgeber), Meg Wolitzer und Celeste Ng; man findet Kinderbuchautor:innen wie Mary Pope Osborne und R. L. Stine oder bekannte Namen wie Tess Gerritsen und John Grisham oder Dave Eggers und Erica Jong. Es sind aber auch etliche Autorinnen und Autoren dabei, die mir bis dahin völlig unbekannt waren.

    Jede und jeder von ihnen hat einen Teil dazu beigetragen, ein oder mehrere Stücke für die Geschichte geliefert, und wenn man sich fragt: Geht das? – dann weiß man schon während des Lesens: Ja, das geht!

    Die Handlung ist schnell zusammengefasst:
    New York während des ersten Lockdowns der Corona-Pandemie; die Stadt hat es besonders hart getroffen und die Auflagen sind extrem. Die Bewohner eines etwas heruntergekommenen Mietshauses, „eine baufällige Bruchbude, die schon längst abgerissen gehört hätte“, haben sich seit Tagen in ihren Wohnungen verschanzt. Nach einer Weile wagen sich die ersten Abend für Abend aufs Dach, um wenigstens etwas frische Luft zu schnappen, das alles natürlich mit dem gebührenden Abstand zueinander und stumm, jeder bleibt für sich.

    Doch bald folgen die Tage einem bestimmten Muster: Kurz vor sieben trudeln nach und nach die Leute ein, Punkt 19:00 Uhr setzt das abendliche Jubel-, Pfeif- und Klatschkonzert für die Corona-Einsatzkräfte gemeinsam mit dem Rest der Stadt ein, und das ist der Auftakt zum Abend. In der folgenden Stunde erzählen sich die Bewohner Geschichten. Erfundene und selbsterlebte, Geschichten von der Liebe und vom Tod, lustige und traurige, gruselige und Geistergeschichten, spektakuläre und kleine, leise Geschichten und wirklich schrecklich tragische.
    Wir lesen Geschichten mit ganz unterschiedlichem kulturellen, politischen, sozialem und religiösen Hintergrund.

    Diese eine Stunde bedeutet, mal eine Pause vom Sorgenmachen zu haben, und die Geschichte, die ein jeder beisteuert, ist eine Art Eintrittskarte für die Schicksalsgemeinschaft, die sich auf dem Dach bildet. Für diese eine Stunde wird das Dach zu einer Art Beichtstuhl…

    „Vierzehn Tage“ feiert die Macht von Geschichten; zwischendrin wird man unweigerlich an Boccaccios „Decamerone“ erinnert: Eine Gruppe von Menschen flieht vor einer Seuche und erzählt sich Geschichten.
    „Was wir hier tun, ist wahrlich außergewöhnlich… was auf diesem Dach geschieht, ist das Durchsetzen unserer Menschlichkeit gegen den Terror und die Banalität eines Virus.“

    Die Logistik hinter diesem Roman ist beeindruckend; wie man es tatsächlich geschafft hat, die einzelnen Versatzstücke zu einem in sich geschlossenen Werk zu vereinen, ist mir gar nicht richtig klar.
    Ich war mir die ganze Zeit, in der ich den Roman gelesen habe, unsicher, ob ich wissen möchte, von wem welcher Teil ist, oder ob das nicht eigentlich völlig egal ist. Ich gebe aber zu, dass ich doch immer wieder an den Schluss geblättert habe, wo die einzelnen Autorinnen und Autoren vorgestellt werden und nachzulesen ist, welche Geschichte und welcher Bewohner vom wem ersonnen wurde. Hierbei ist besonders spannend, dass manche Hausbewohner von verschiedenen Autor:innen „bespielt“ wurden, und man eigentlich keine Brüche in der Erzählung ausmachen kann.

    „Die abgefahrenen Geschichten dieses zusammengewürfelten Haufens New Yorker“ gehen auf jeden Fall zu Herzen, und das Ende hat mich regelrecht umgehauen!

  • NATRIUM CHLORID von Jussi Adler-Olsen

    Nach der Renovierung des rumpeligen Kellers sind Carl und sein Team umgezogen in funktionale 08/15-Büros im 1. Stock. Niemand, nicht einmal Marcus, der Chef der Mordkommission, ist glücklich darüber, nach dem Umzug das anarchistischste Dezernat des Landes nun so nah bei sich zu haben. Die Kombination aus Carls verkniffener Miene und Roses ewiger großer Klappe macht alle fertig.

    Ich fand jedoch, dass es dieses Mal bei Carl, Assad, Rose und Gordon extrem harmonisch zugeht! Für Carl ist es sogar -- trotz Corona-Pandemie -- die beste Zeit seines Lebens. Mona und er haben die süßeste kleine Tochter der Welt, sie wohnen nun schon eine Weile zusammen und überlegen sogar zu heiraten.
    Das ist für den Leser ja fast ein bisschen zuviel des Guten, und Rose bringt es eigentlich auf den Punkt: "Du warst wirklich lustiger, als du ein mürrisches altes Arxxxloch warst!"

    Der Fall, an dem das Sonderdezernat Q zu knacken hat, ist besonders tückisch, denn dieses Mal sind es zwei aktuelle Morde, die Rose und Gordon ganz tief in die Archive eintauchen und sie herausfinden lassen, dass es sich um eine Mordserie handeln muss, die ihren Anfang schon vor dreißig Jahren genommen hat. Einzige Gemeinsamkeit und einziger Anhaltspunkt: Das Häufchen Kochsalz, das der Täter an jedem Tatort hinterlassen hat.
    Aber auch ein weiterer alter Fall macht Carl das Leben schwer. Der sogenannte Druckluftnagler-Fall von 2007, bei dem sein Kollege Anker erschossen wurde und sein Freund Hardy so schwer verletzt, dass er seitdem vom Hals abwärts gelähmt ist, wird wieder aufgerollt. Die niederländische Polizei und das Dezernat in Kopenhagen bereiten eine Anklage vor, in der allen dreien vorgeworfen wird, bis zu Ankers Tod in großem Stil mit Kokain gedealt zu haben.
    Dadurch gerät Carl so richtig in die Bredouille -- und Jussi Adler-Olsen lässt ihn und uns Leser mit einem Cliffhanger der fiesesten Extraklasse sehnsüchtig auf die Fortsetzung warten.
    Und die erscheint zum Glück in den nächsten Tagen! Einziger Wermutstropfen: Es wird das Ende der "Sonderdezernat Q"-Reihe sein...

  • Die Kunst des Verschwindens von Melanie Raabe

    „Alba sagt, dass die Träume, die man zwischen Heiligabend und dem Dreikönigstag hat, besonders sind. In diesen zwölf Nächten träume man die zwölf Monate des kommenden Jahres.“

    Die Träume der jungen Nicolette, genannt Nico, sind beunruhigend und furchtbar. Sie hat lange nicht vom Wasser geträumt, doch jetzt sind die Träume, die sie stets aus der Perspektive ihrer Mutter träumt, zurück. Nach einer langen Pause träumt Nico wieder von der Nacht, in der ihre Mutter bei einem Fährunglück in der Ostsee ihr Leben verloren hat.

    Wenige Tage vor Silvester läuft Nico an einer Kreuzung in Berlin die berühmte Hollywood-Schauspielerin Ellen Kirsch über den Weg – eben hat sie sie noch auf einem riesenhaften Werbeplakat für ihren neuen Film gesehen und kurz darauf dann in echt. Was für ein Zufall!
    Wie es der Zufall weiter will, wohnt Ellen vorübergehend direkt im Haus gegenüber, in der Silvesternacht lernen sich die beiden Frauen kennen, freunden sich an und stellen fest, dass sie just am selben Tag und im selben Jahr geboren wurden.
    Liegt es wirklich nur an diesem „Zwilling im Geiste“, dass Ellen ganz ähnliche Träume wie Nico hat? Dass sie beide Geräusche, Gerüche und manchmal auch Geister spüren und anders wahrnehmen als andere Menschen? Dass beiden Orte, an denen sie nie zuvor waren, so bekannt vorkommen?
    Gibt es so etwas wie Seelenverwandtschaft wirklich?

    Nico hat keine Gelegenheit herauszufinden, was es mit dieser magischen Verbindung auf sich hat, denn am nächsten Tag ist Ellen spurlos verschwunden.
    Das einzige, das bleibt, ist ein Päckchen von Ellen, das Nico wenige Tage später erhält. Der Inhalt: Die Kette mit dem Kolibri, die Nicos Mutter immer trug – außer in der Nacht ihres Todes.
    Nico macht sich auf die Suche und muss bald feststellen, dass alles an der Geschichte mit Ellen viel weniger zufällig geschehen ist als gedacht…

    Zunächst war ich mir nicht ganz sicher, ob mir der neue Roman von Melanie Raabe wirklich gefällt; auf den ersten Seiten hatte ich das Gefühl, dass er – zumindest für meinen Geschmack – zu sehr in Richtung Schmonzette geht.
    Ich wurde aber eines Besseren belehrt; die Handlung nimmt schnell an Fahrt auf und bald macht sich beim Lesen eine Mischung aus Spannung und nervöser Beklemmung breit.
    Die Geschichte dieser beiden Frauen, die schwer an ihren Geheimnissen tragen, die niemandes Projektionsfläche mehr sein möchten, die sich selber finden wollen und die nach dem Sinn in ihrem Leben suchen, ist raffiniert konstruiert und überrascht mit immer neuen Wendungen.
    Ein wirklich gut gelungener Roman, der uns zeigt: Das Leben ist ein Stück weit ein Rätsel.
    Und das ist auch gut so.

  • Eine fast perfekte Frau von Toni Jordan

    „Es muss ganz schön anstrengend sein, Kylie Schnabel zu sein.“

    So sprach Simon Larsen in „Dinner mit den Schnabels“ über seine Schwägerin Kylie.
    Ich möchte mich nicht festnageln lassen, dass der Satz so wortwörtlich fiel, aber was ich zu 100 Prozent weiß: Die Familie Schnabel ist mir bereits mit dem eingangs erwähnten Roman ans Herz gewachsen, und daher war es ein richtiger Freudentag, als jetzt mit „Eine fast perfekte Frau“ eine Art Fortsetzung erschienenen ist.
    Schade nur, dass der Originaltitel nicht übernommen wurde: „Prettier if she smiled more“.
    Aber Kylie ist der Ansicht, dass ein Lächeln nichts wert ist, „es ist nur Deko… und verrät nichts über die wahren Absichten eines Menschen“, und so ist ihre Miene meist „eine Mischung aus Kristen Stewart und Grumpy Cat“.

    Wie auch immer: Simon, der Mann von Kylies jüngerer Schwester Tansy hat recht: Kylie zu sein, muss wirklich anstrengend sein, denn Kylie ist die Effizienz in Person; sie macht alles, sie kann alles, sie weiß alles. Die Frage, ob Kylie mit irgendetwas richtig liegt, stellt sich nie, denn Kylie liegt nie falsch!

    Sie ist die Frau, deren Alltag von ihrem Fitness-Armand bestimmt wird, „denn Überwachung war der erste Schritt zur Verbesserung der eigenen Performance.“
    Sie ist die Frau, in deren Wohnung es keine Deko und keinen Schnickschnack gibt, keine Kunst an den Wänden oder Kissen auf dem Sofa, noch nicht mal Romane nach 1960. „Hätte Marie Kondo vorbeigeschaut und einen Blick hineingeworfen, hätte sie gesagt: Immer mit der Ruhe, man muss es ja nicht gleich übertreiben.“

    Kylie verbringt den Großteil ihres Lebens in einem Zustand fokussierter, entschlossener Bewegung; sie ist die, die stets mit absoluter Gewissheit weiß, was für jeden das Beste ist, bloß warum beschweren sich dann immer alle ständig?!
    Kylie ist die, die sich um alles kümmert, die alles regelt – als ältere Schwester auch gerne mal die Angelegenheiten von Schwester Tansy und Bruder Nick, denn das sind sie alle seit ihrer Kindheit so gewöhnt.

    Doch dann bricht Kylies wohlgeordnetes Leben praktisch innerhalb eines Tages in sich zusammen und es beginnt „die Woche der Katastrophen“.
    Zuerst gibt das Fitnessarmband ihres Freundes Colin, das sie mit ihrem synchronisiert hat (selbstverständlich!), einen unmissverständlichen Hinweis darauf, dass er sie betrügt. Eigentlich sind es ja gute Nachrichten, dass Colins Herzfrequenz und die verbrannten Kalorien während seiner Teilnahme bei einer Konferenz (Wo? Kylie hat keine Ahnung, es hat sie nicht die Bohne interessiert) nach oben schnellen, denn er trainiert für Kylies Geschmack viel zu selten… aber dass diese Dauer der intensiven Belastung um 1.00 Uhr in der Nacht stattfindet, wo Colin doch normalerweise um 21.30 Uhr ins Bett geht, das kann nur eines bedeuten!

    Katastrophe Nummer 2 ist die Tatsache, dass die Apotheke, in der Kylie seit zwanzig Jahren arbeitet, an ein großes Pharmaunternehmen verkauft und Kylies Stelle neu ausgeschrieben wird.
    Natürlich will man sie gerne behalten, aber ein gewisses Prozedere ist selbstverständlich zu beachten. „Sonst herrscht ja Anarchie! Aber Ihre Bewerbung wird wohlwollend aufgenommen, das verspreche ist Ihnen!“

    Aber Katastrophe Nummer 3 ist für Kylie die schlimmste und für die Leserin die beste! Nachdem sich nämlich ihre Mutter den Knöchel gebrochen hat, zieht Kylie vorübergehend zu ihr zurück, denn irgendwer muss sich ja kümmern, und wer könnte das besser als sie.
    Und so kommen wir erneut in den Genuss der großartigen Gloria Schnabel, die keine Sicherheitsschranke zwischen Gehirn und Mund hat und von der wir so wunderbare Lebensweisheiten lernen können wie diese:
    “Wenn du keinen Toast daraus machen kannst, ist es ein Keks und kein Brot.“

    Für Kylie beginnt eine turbulente Woche, in der ihr klar wird, dass sie weder ihre Arbeitssituation und ihr Liebesleben, geschweige denn ihre Mutter im Griff hat – völlig klar, dass sie sich noch mehr anstrengen, sich bessere Strategien überlegen muss, um alles wieder unter Kontrolle zu bringen.
    Kylie muss sich, zurück in ihrem Elternhaus, aber auch ihrer Vergangenheit stellen, und langsam dämmert in ihr die Erkenntnis, dass das Leben einer modernen Frau anstrengend ist. Der soziale Druck, der Druck ihrer Umgebung – man müsse so und so aussehen und so und so handeln – ist enorm, aber Kylie ist entschlossen, ihre Eigenständigkeit zu wahren, obwohl sie langsam erkennt, dass es kein Zeichen von Schwäche ist, doch mal um Hilfe zu bitten.

    Auch mit dem zweiten Roman, den ich von ihr gelesen habe, hat Toni Jordan mich wieder restlos begeistert!
    Es bleibt zu hoffen, dass weitere Bücher folgen, denn über Kylies Bruder Nick oder ihre Halbschwester Monica gibt es sicher auch noch so manches, was wir bisher nicht wissen.

  • In der Gnade von Joy Williams

    Ich muss gestehen, dieser Roman hat mich anfänglich herausgefordert, was die Konzentration und die Art des Lesens angehen. Zu sprunghaft war die Handlung, zu rätselhaft und metaphorisch, zu mühsam interpretierbar schien mir die Geschichte zunächst. Für zwischendrin, auf dem Sofa liegend und vielleicht auch mal kurz wegdämmernd, ist das Buch definitiv nichts, und mehrmals war ich versucht, es wegzulegen und unter „Flop“ zu verbuchen.
    Gleichzeitig wollte ich aber wissen, wie die Geschichte von Kate Jackson, dem kleinen Mädchen, das die meisten Erwachsenen unangenehm finden – „etwas Dunkles umgibt sie“ – weitergeht und wie sie überhaupt angefangen hat. Und was es mit ihrem seltsamen Vater, dem schwierigen Reverend mit dem frühen, unheimlichen Weiß seiner Haare, und seiner obsessiven (vielleicht auch übergriffigen? Ich denke: Ja!) Liebe zu seiner Tochter auf sich hat. Kate ist immer ein Papakind gewesen; Ihre Mutter konnte das ewige „Daddy, Daddy, Daddy“ schon lange nicht mehr hören und hat keine Skrupel, ihrer Tochter nach dem Unfalltod der älteren Schwester ins Gesicht zu sagen: „Nichts wünschte ich mir sehnlicher, als dass es dich getroffen hätte.“

    Joy Williams ist hierzulande kaum bekannt, aber es lohnt sich, diese Autorin zu entdecken.
    „In der Gnade“, 1973 erschienen und erst jetzt auf Deutsch veröffentlicht, ist ein Roman, den ich mit nichts, was ich bisher gelesen habe, vergleichen kann. Letztendlich war es ein Vergnügen, sich auf dieses Buch einzulassen!

  • Hier muss es sein von Maggie O'Farrell

    „Sie trug eine Latzhose, deren Beine über schlammverkrusteten Gummistiefeln hochgekrempelt waren. Sie war absolut nicht mein Typ. Ich weiß noch, dass ich bewusst wahrnahm, wie sich dieser Gedanke in meinem Kopf formte.“

    Wie wahrscheinlich ist es, dass man der künftigen Liebe seines Lebens in der Kurve einer entlegenen Landstraße im ländlichen Irland begegnet und dass diese Liebe einst eine weltberühmte Schauspielerin gewesen ist?
    Genau das passiert Daniel aus New York, als er auf dem Weg nach Galway oder nach Sligo ist, und er hat keine Ahnung, wem er da neben einem aufgebockten Transporter mit Platten zu Hilfe kommt.
    Die unfreundliche Frau, die seine Hilfe gar nicht will, ist Claudette Wells; sie als „berühmt“ zu bezeichnen, trifft es nicht richtig. Berühmt ist sie gewesen, bevor sie das tat, was sie in die Sphäre des glorifizierten Berühmt-berüchtigt-Seins gehoben hat. Auf dem Höhepunkt ihrer Weltkarriere ist Claudette mit ihrem kleinen Sohn Ari von einem Tag auf den anderen verschwunden und ward seitdem nicht mehr gesehen…
    Zwischen Daniel und Claudette, beide hochkomplizierte Menschen, entwickelt sich eine Liebesgeschichte, die ihresgleichen sucht.

    Nach Jahren des Glücks ist es ausgerechnet eine Radiosendung, die Daniel in eine schwere Krise stürzt. In dem Beitrag wird Nicola Janks erwähnt, die Frau, mit der er vor fünfundzwanzig Jahren eine Beziehung hatte, die sehr abrupt endete. Als er daraufhin recherchiert, was aus ihr geworden ist, durchfahren ihn die letzten vier Ziffern ihrer Biographie wie eine eisige Klinge: Nicola ist tatsächlich 1986 gestorben.
    „Natürlich, denke ich, natürlich war es damals. Ich habe es gewusst, stelle ich fest. Vielleicht schon immer… Auf den ersten Blick bin ich ein Ehemann, Vater, Dozent… aber bei genauerer Betrachtung werde ich zum Deserteur, Schwindler, Mörder und Dieb.“
    Wie soll Daniel Claudette seine maßlose Angst davor vermitteln, dass auch nur ein Molekül von dem, was vor fünfundzwanzig Jahren passiert ist, in ihr gemeinsames Leben eindringen könnte?
    Daniel begibt sich auf eine Reise in seine Vergangenheit, die alles zunichtemachen könnte, was ihm etwas bedeutet.

    Aus Rückblenden und der Gegenwart, aus Daniels und Claudettes Sicht und auch aus der diverser anderer Menschen, die in ihrer beider Leben eine Rolle spielen, setzt sich ein atemberaubendes, wunderbares Puzzle zusammen. Es ist eine Mischung aus Kriminal- und Liebesgeschichte, die einen verstehen lässt, warum Claudette einst alles darangesetzt hat, ihr glamouröses Leben hinter sich zu lassen und in einem verlassenen Tal in Irland ganz von vorne anzufangen, und warum Daniel mit seiner Trennung von Nicola vor all den Jahren eine so große Schuld auf sich geladen hat, an der er jetzt zu zerbrechen droht.

    Es ist eine opulente Geschichte von Freundschaft und Verrat, und Maggie O’Farrell ist eine Meisterin der Details. Besonders berührend fand ich daher die kleinen Episoden, in denen wir so manches, mitunter scheinbar nebensächliches, über die Menschen in Daniels und Claudettes Umfeld erfahren. So zum Beispiel das Kapitel „Das fragliche Mädchen“, in dem wir ein bisschen über Daniels Mutter Teresa erfahren, als sie noch jung und verliebt war in einen Mann, der nicht Daniels Vater werden sollte, oder der kurze Einschub über Claudettes Schwägerin Maeve, die nach jahrelanger ungewollter Kinderlosigkeit endlich ein Baby in China adoptieren kann.
    Am schönsten war für mich aber das Kapitel „Ganz unten auf der Seite“, das von Niall, Daniels Sohn aus erster Ehe, handelt. In diesem Teil der Geschichte ist Niall ungefähr zehn oder zwölf Jahre alt und durfte vor Kurzem sein erstes Buch aus der Erwachsenenabteilung in der Bücherei ausleihen. Es handelt von Asteroiden, und der Text ist von kleinen Ziffern durchsetzt – „Fußnoten“, wie sein Vater ihm erklärt. Niall ist fasziniert von diesem System, gebannt von seiner Schönheit: Da gibt es eine Haupterzählung, und dann findet man gleich unten auf der Seite nützliche Zusatzinformationen zu allem, was man nicht versteht. So beschließt Niall, dass sein kompliziertes Leben ab sofort Fußnoten braucht, und dass er, Niall, sie selbst verfassen wird.
    Und so wimmelt auch das ihm gewidmete Kapitel von Fußnoten – und diese Zusatzinformationen sind mit das Schönste im ganzen Roman.

    Überhaupt wünscht man sich, dass neben der Geschichte von Daniel und Claudette auch all diese Nebenhandlungen, diese Geschichten der anderen immer weitergesponnen würden.
    Das ist die wahre Kunst der Autorin: Man verliert sich in jeder einzelnen Episode, mag sie auch noch so kurz sein.
    Lesen Sie dieses Buch; ich garantiere Ihnen, dass es Sie glücklich macht!

  • „Dies ist die Geschichte von zwei gestohlenen Leben: dem Leben von Thalia Keith und dem Leben von Omar Evans.“

    Allzu gerne denkt Bodie Kane nicht zurück an ihre Schulzeit im noblen Internat Granby in den 1990er Jahren. Zu sehr hat sich ihre Herkunft von der der anderen elitären Kids unterschieden, zu sehr ist sie immer eine Einzelgängerin gewesen, und das letzte Schuljahr war geprägt vom Mord an ihrer Mitschülerin Thalia Keith. Ein Schuljahr lang haben sich die beiden Mädchen damals ein Zimmer geteilt, doch befreundet waren sie nie.
    Zwanzig Jahre später ist Bodie Medienwissenschaftlerin und Produzentin eines erfolgreichen Podcasts, der sich mit Verbrechen an Frauen beschäftigt. Nun kehrt sie für zwei Wochen nach Granby zurück. Als Gastdozentin soll sie eine Gruppe von Schülern in Filmwissenschaften unterrichten und einer zweiten Gruppe beibringen, wie man einen Podcast gestaltet.
    Dass eine Schülerin sich in ihrem Podcast ausgerechnet mit dem Tod von Thalia beschäftigen will, stürzt Bodie in einen Konflikt. Einerseits will sie in die ganze Sache nicht (wieder) hineingezogen werden, aber auf der anderen Seite wird in ihr schon seit geraumer Zeit der Verdacht immer stärker, dass damals viel zu ungenau und schlampig ermittelt wurde und mit dem jungen Sporttrainer Omar Evans, damals einer der wenigen Schwarzen „in einer Stadt weißer Ärsche in einem Staat weißer Ärsche“, der falsche verhaftet und für den Mord zu sechzig Jahren Haft verurteilt wurde.
    Bei den Recherchen für den Podcast finden sich dann tatsächlich immer mehr Indizien, die die Theorie stützen, dass Omar das Opfer einer unerfahrenen, rassistischen Kleinstadtpolizei und einer rassistischen Schule, die den Fall schnell abgeschlossen wissen wollte, war.

    „Ich hätte da ein paar Fragen an Sie“ ist ein faszinierender Roman, der gekonnt die Elemente eines Krimis mit denen einer Internatsgeschichte verbindet. Rebecca Makkais Beschreibungen von Granby und dem Campusleben sind wundervoll detailreich und nuanciert, so dass ich jeden Schritt, den Bodie auf dem Internatsgelände tut, mit ihr gegangen bin. Ich konnte jeden Klassenraum, die Cafeteria oder die kleine Brücke über der Schlucht ganz genau vor meinem geistigen Auge sehen!
    Der Mordfall an sich und die Suche nach dem wahren Mörder ist hochspannend, aber genauso spannend – wenn nicht noch spannender! – ist Bodies Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit. Sie, die seit Jahren in ihrem Podcast den Missbrauch an Frauen in Hollywood erforscht, erkennt erst jetzt bzw. gesteht sich endlich ein, wie oft sie eigentlich als Schülerin mitbekommen hat, dass andere Mädchen – und auch sie selbst – unerwünschte Aufmerksamkeit bekommen haben und durch männliche Mitschüler verbal oder auch körperlich sexuell belästigt wurden.

    Langsam schmelzen alle Gewissheiten über Thalias Tod dahin, und millimeterweise lässt Bodie die Erkenntnis in ihr Blickfeld rücken, dass der allseits beliebte Lehrer Mr Bloch, der für sie zum Besten in Granby gehörte, vielleicht nicht nur ein Heuchler gewesen ist, sondern möglicherweise auch ein brutales Ungeheuer.
    Der Roman spielt, von den Rückblenden mal abgesehen, im Jahr 2018, also zu Zeiten, als die #Me Too-Bewegung eine breite gesellschaftliche Debatte angestoßen hat.
    Hierbei ist besonders der Teil des Romans hoch spannend, wo in einer Art Nebenstrang Bodies Exmann von einer deutlich jüngeren Frau der sexuellen Belästigung beschuldigt wird und Bodie daraufhin in einem emotionalen Sumpf steckt und einen Shitstorm in den sozialen Medien entfacht, weil sie nichts Eiligeres zu tun hat, als ihn zu verteidigen, obwohl sie sich dieser Scheinheiligkeit durchaus bewusst ist.

    „Ich hätte da ein paar Fragen an Sie“ ist nicht nur ein höchst spannender, sondern auch ein topaktueller Roman – es ist ein Roman für die jungen Schauspielerinnen, die Ja zu einer Poolparty sagten, ohne zu wissen, worauf sie sich einließen. Oder für die Frau, die von dem Milliardär in eine Telefonzelle gedrängt wurde, was ihr aber niemand glaubte. Er ist für die Frau, die täglich von ihm beim Joggen beobachtet wurde oder für die, die so unvorsichtig war, ihm zu sagen, dass ihre Tage ausblieben.
    Er ist für die mit dem Freund, mit dem Onkel, mit dem Therapeuten… es ist ein Roman für alle Frauen.
    Und für die Männer auch.